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Dienstag, 2. September 2014

"Du musst dir Bob Dylans 'Desolation Row' anhören, ich hab selten so einen simplen und dennoch komplexen Song in meinem Leben gehört. Ich hab noch Stunden über den Text nachgedacht." - "Cool, gibt's den auch bei Spotify?"



Nein, Nein, Nein möchte ich schreien, während es mich innerlich zerreißt, obwohl ich mir sicher bin, dass es dieses Meisterwerk auch bei Spotify zu finden gibt. Wie eigentlich alles. Mit einem einzigen Klick. Klick."They're selling postcards of the hanging, they're painting the passports brown..." Klick. "Hello, I've waited here for you - Everlong. Tonight, I throw..." Klick. "I ain't happy, I'm feeling glad. I got sunshine, in a bag." Natürlich leben wir mittlerweile in einer schnelllebigen Welt. Die Welt hat sich weiterbewegt, wir rasen mit 200 Km/h über die Autobahn, wir essen, wir arbeiten, konsumieren und wir essen wieder. Das Internet hat uns näher zusammengebracht und diesen 200 Km/h noch einmal 20 draufgelegt. Die musikalische Inflation, die, wie es mir scheint, mit dem Aufkommen der Musikstreaming-Dienste erst so richtig in Fahrt gekommen ist, bricht mir aber jeden Tag erneut mein Herz. Mir geht es dabei ausnahmsweise nicht einmal um die Künstler, die ohne unzählige Liveauftritte am Hungertuch nagen würden. Denn mit CDs lässt sich heutzutage einfach kein Geld verdienen und mit Spotify, Rdio, Ampya und Co. noch weniger.

Mein Problem mit den Streaming-Diensten ist eher künstlerischer Natur, denn mir kommt es mehr und mehr so vor, als würde Musik in unser Gesellschaft an Wert verlieren. Ein bisschen 'Daft Punk' hier, ein wenig 'Lana Del Ray' dort und auf der Party tanz ich dann zu den angesagtesten Beats. Dagegen ist nichts einzuwenden, das Problem ist, dass Musik mehr und mehr zur Mode wird. Natürlich waren Musik und Modeerscheinungen schon immer stark miteinander verknüpft, ein Punker würde schließlich nicht mit Baggy und Baseball-Cap auf ein Konzert gehen, von dessen Band vermutlich nur eine Handvoll Menschen jemals überhaupt gehört hat. Es geht vielmehr darum, wie wir uns öffentlich darstellen: Hör ich einen Song, landet dieser automatisch in meinem Feed und alle meine Freunde sehen zu welchen Songs ich gerne koche oder Glühbirnen wechsle. Bin ich also lieber der beinharte Schlagerfan oder der HipHop-Experte, der jeden Sound vor allen Anderen kennt? Ich habe die Wahl, wie ich mich nach Außen präsentieren möchte. Natürlich kann man auch in den Inkognito-Modus wechseln, oder sonst was darauf geben, was die anderen von einem denken. Ich glaube aber, das tun die Meisten einfach nicht. Sehen und gesehen werden lautet die Devise, da hat sich in den letzten tausend Jahren Menschheit nicht all zu viel verändert. Und jetzt funktioniert das sogar über Musik, die man in den privatesten Situationen hört. Cool.

Bob Dylan is not amused.

Neben dieser eigenwilligen Form der Selbstdarstellung, stört es mich aber vor allem, dass Songs aus ihrem natürlichen Umfeld gerissen und in klapprige Playlists verfrachtet werden, in denen sie dann vor sich hin rotten. Viele zusammengehörige Lieder einer Gruppe werden nicht ohne Grund auf einem Album veröffentlicht und so arrangiert wie sie nunmal arrangiert werden. So können bestimmte Atmosphären erschaffen werden, Gefühle ausgedrückt, ja sogar ganze Geschichten erzählt werden. Man nehme beispielsweise das wundervolle Album 'The Downward Spiral' von 'Nine Inch Nails', darin wird die Geschichte eines psychisch gestörten Mannes erzählt, der immer weiter in den Sumpf des Wahnsinns absinkt, zum Schluss findet dieser aber vielleicht seine Erlösung. Hört man nun nur einzelne Lieder dieses Machwerks oder mischt die Reihenfolge der Tracks durch, kann man die Tragweite dieses Meilensteins gar nicht verstehen. Ein Lied muss für sich stehen, so lautet der einhellige Tenor. Ich für meinen Teil finde, das ist absoluter Schwachsinn. Klar kann ich 'Bruce Springsteens' 'Thunder Road' hören und mich in Klang und Text verlieben, alle Sachen packen und mich auf die Reise machen. In der Gemeinschaft der anderen Songs von 'Born to Run' fällt der Song allerdings nochmals viel gewichtiger aus.

Gibt mir jemand den Tipp für eine gute Band, die mir sicherlich gefallen würde, kaufe ich mir daher lieber ein ganzes Album, als Stellen bei Spotify vorzuhören und dann meine Bestellung zu tätigen. Denn seien wir mal ehrlich, diesen Spruch, dieses Argument hat schon fast jeder gebracht, kurz in einen Song reingehört und die Band dann für immer vergessen. Hat man Pech mit dem ausgewählten Song, eine langsame Stelle getroffen oder vielleicht ein Instrumental rausgepickt, obwohl man auf der Suche nach starken Texten war, ist die Geschichte mit dir und dieser Band vorbei bevor sie angefangen hat. Und für Musik darf ja sowieso kein Geld mehr ausgegeben werden, mittlerweile gehört es wohl zum Allgemeingut auf alle Songs dieses Planetens kostenlos zugreifen zu können. Bezahlt mal wieder Geld für eine Platte die euch am Herzen liegt, ich schwöre euch, wenn ihr dafür bezahlt, nehmt ihr die Musik noch einmal komplett anders wahr. Man lernt das was man hört zu schätzen. Es ist nie gut einfach alles zu haben, sei es Geld, Macht oder eben Musik. Irgendwann wird es an Wert verlieren, Übersättigung tritt ein und lässt einen abstumpfen. Dann sind die Zeiten vorbei, als ein Horrorfilm dir noch schlaflose Nächte beschert hat, heute müssen schon Menschen verstümmelt werden, um überhaupt eine Regung aus dir zu bekommen. Spotify macht die schönsten Songs zu Massenware, macht ein Rindersteak zu Fastfood. Außerdem hören wir nicht mal mehr richtig hin, diese kostenlose Dauerbeschallung ist all die wundervollen Songs, all die leidenschaftlichen Musiker und all die gebrochenen Dichter, die mit ihrem letzten Geld ein paar Lieder aufgenommen haben, einfach nicht wert. Spotify macht taub. Spotify färbt das Herz von innen Schwarz und dann fault es.  

 
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